Zusammenfassung

Kiki van Beethoven eine abenteuerliche Erzählung über eine strahlende Sechzigerin, die dank der Musik ihr Leben und das ihrer drei Freundinnen ändern wird. Eine Fabel über die verlorene Jugend und verschüttete Geheimnisse.

Rezensionen

Wesfälische Nachrichten - « Tanz in den Schneesturm »

Münster - Zu Beginn rieselt ein einzelnes Blatt vom Baum, und die Vöglein singen. Am Ende schnattern nicht mal mehr die Enten, und der Schnee fegt über die Bühne. Doch der Weg zweier Figuren, den der französische Star-Dramatiker Éric-Emmanuel Schmitt in seinem Stück „Kiki van Beethoven“ nachzeichnet, ist kein Weg in winterliche Tristesse. Am Ende steht vielmehr ein ausgelassener Tanz im Schneesturm, den manche Zuschauer der Uraufführung im Wolfgang-Borchert-Theater in Münster wahrscheinlich am liebsten draußen fortgesetzt hätten.

Kiki, die alte Dame aus der Seniorenresidenz „Zum Fliederbusch“, schwankt zwischen Zufriedenheit und Griesgrämigkeit, als sie sich mit ihrem Ghettoblaster auf die Parkbank setzt und Beethovens „Pastorale“ einschaltet. Mit dem jugendlichen Hip-Hopper, der ihre „Kirchenmusik“ ziemlich „strange“ findet, kann sie nun gar nichts anfangen.

Doch der jugendliche Kauz hat eine wunderbare Eigenschaft: Er ist von kindlicher Neugier erfüllt und möchte wissen, was es mit der seltsamen Frau auf sich hat. Weil er sie ganz naiv befragt, muss sie sich über ihre eigenen Vorurteile und seelischen Verhärtungen Rechenschaft ablegen. Bis sie, nach mehreren Wiederbegegnungen, nicht nur einen anderen Blick auf ihre Freundinnen aus der Residenz gewinnt, sondern sogar auf die verhasste Schwiegertochter, der sie den Selbstmord ihre Sohnes ankreidete.

Man sollte es nicht gering schätzen, wie der Haus-Autor des Borchert-Theaters für einfache Botschaften der Menschlichkeit und Toleranz eine theatralisch überzeugende Form findet. Schon in der Begegnung der Frau, von Monika Hess-Zanger perfekt als allmählich dahinschmelzende Misanthropin dargestellt, mit dem putzigen Jungspund, dem Florian Bender neben dem dezenten Kanak-Akzent liebenswerte Treuherzigkeit verleiht, entfaltet Schmitt die Wirkmächtigkeit des Miteinandersprechens. Erstaunlich, dass die erste Version des Stücks ein Solo für eine Frau war - man mag sich nach diesem Premierenabend etwas anderes als die in Münster uraufgeführte Version gar nicht vorstellen. Das seltsame Rätsel um Kikis Liebe zu Beethovens Musik, vor deren Größe sie sich so klein fühlt, verknüpft Schmitt auch mit dem Missbrauch von Kunst und Humanismus durch die Barbarei. Wenn Kiki, nach schwarzhumoriger Einleitung, von der Auschwitz-Reise mit ihren Freundinnen erzählt und wenn zum Bericht über ihre jüdische Freundin Rahel das traurige Allegretto aus Beethovens Siebter erklingt, lässt dieses Melodram gewiss niemanden kalt: Regisseurin Tanja Weidner zeigt Gespür für die Größe der Gefühle, die sie im Spiel zulässt, und Ausstatterin Anja Müller stellt ihr dafür eine Bühne bereit, die zwischen Godot-Kargheit und schattenhafter Hiphop-Poesie allen Stimmungen bildhaft Ausdruck verleiht. Den Rest bewirkt, neben Manuela Silio-Funks witziger Choreografie, die Musik zwischen Franko-Pop und Beethoven.


 

HARALD SUERLAND

Aufführungen

Belgien: Kiki Van Beethoven

Bruxelles, Théâtre Le Public, 2011 et tournée nationale

Bulgarien: Kiki Van Beethoven

Sofia, Théâtre 199, 2011

Deutschland: : Kiki Van Beethoven

Münster, Wolgang Borchert Theater, 2010

Frankreich : Kiki Van Beethoven

Paris, Théâtre La Bruyère, 2010

Romania : Kiki Van Beethoven

Bucarest, Théâtre Muzeul National “George Enescu”, 2011